Das Zitat “If you want to be a better photographer, stand in front of more interesting stuff“ wird dem renommierten National Geographic Fotografen Jim Richardson zugeschrieben, und so jemand sollte es ja schließlich wissen, oder? Aber wird man durch das Finden und Ablichten interessanterer Motive wirklich zu einem besseren Fotografen? Ich glaube nicht …
Der gute Fotograf
Um den Wahrheitsgehalt dieses Zitates zu überprüfen, sollte man zunächst einmal die Frage klären, was einen guten Fotografen ausmacht. Abgesehen davon, dass die Vergabe des Prädikats “Guter Fotograf“ ein höchst subjektives Urteil ist, sind zwei Grundvoraussetzungen dafür wahrscheinlich unstrittig:
Sicherheit in der Technik: Ein guter Fotograf sollte sein Handwerk verstehen und beherrschen, er nutzt die Möglichkeiten der ihm zur Verfügung stehenden Ausrüstung zielgerichtet und in seinem Sinne. Somit ist er nicht nur in der Lage korrekt belichtete und fokussierte Bilder zu erstellen, sondern auch seine künstlerisch-ästhetische Vision umzusetzen.
Ein “gutes Auge“: Für mich zählen zu diesem Punkt einerseits das Erkennen fotografisch reizvoller Motive oder Situationen, als auch ein Sinn für Ästhetik bei verschiedenen, den Bildlook maßgeblich beeinflussenden Faktoren. Beispielhaft seien hier die Themen Beurteilung der Qualität des Lichts, das Timing und die Wahl der Komposition genannt. Übrigens: Fast noch wertvoller als die Fähigkeit zur Wahrnehmung lohnenswerter Motive ist meiner Meinung nach die des Erkennens von augenscheinlich schönen, aber fotografisch nicht funktionierenden Szenen …
Das Aufsuchen von interessanteren Motiven bringt mich beim Auf- und Ausbau der beiden genannten Basisfähigkeiten sicherlich nicht weiter, aber werde ich im Endeffekt nicht ausschließlich an der Qualität meiner Bilder gemessen?
Das gute Bild
Die Beurteilung eines gegebenen Bildes ist - genau wie die der Güte eines Fotografen - natürlich auch vom subjektiven Empfinden abhängig. Nichtsdestotrotz gibt es 3 Schlüsselelemente, die ein gutes Foto ausmachen:
Licht: Nicht umsonst bedeutet das Wort Fotografie frei aus dem Griechischen übersetzt soviel wie Lichtmalerei. Wo kein Licht ist, ist auch kein Foto, ohne ”gutes“ Licht kein gutes Foto. Wichtig wäre in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass unter gewissen Umständen beispielsweise auch das weithin geschmähte harte Licht der Mittagszeit optimal sein kann, sofern es denn die Bildaussage unterstreicht.
Komposition: Für mich eines der wichtigsten, aber auch am schwersten zu erlernenden Aspekte. Ein gut komponiertes Bild lenkt den Blick des Betrachters auf das Hauptmotiv, welches in einem visuellen Gleichgewicht mit den anderen Elementen des Bildes steht. In meinen Augen ist die Fotografie auch eine Kunst der Reduktion, durch die Wahl des Aufnahmestandpunktes und der Brennweite versuche ich störende Ablenkungen so weit wie möglich zu exkludieren.
Motiv: Tolles Licht und eine ausgewogene Komposition nutzt mir herzlich wenig, wenn das eigentliche Hauptmotiv gähnend langweilig ist. Eventuell kann ich auch einen ordinären Kuhfladen interessant in Szene setzen, ein etwas spektakuläreres Objekt würde so ein Bild aber deutlich aufwerten, oder?
Ein tolles Motiv in gutem Licht - verpackt in eine gelungene Komposition - sollte bei einem technisch versierten Fotografen zwangsläufig zu einem ansprechenden Bild führen. Das bloße Aufsuchen und Fotografieren von interessanten Orten hingegen bringt mich allerdings nur in einem von fünf Bereichen, die für ein gutes Foto erforderlich sind, weiter. Ich werde dadurch aber weder technisch sicherer, noch schule ich mein Auge, und auch mein kompositorisches Verständnis wird nicht wachsen. Das Vorhandensein guten Lichts bleibt ein Glücksspiel, da mir an besonderen Orten, die ja zumeist nicht direkt vor meiner Haustür liegen, nur ein begrenztes Zeitfenster zur Verfügung steht. Meiner Meinung nach ist das Zitat Jim Richardsons so nicht zutreffend. Das Ablichten interessanterer Motive kann zwar durchaus zu besseren Bildern führen, es macht mich aber sicher nicht zu einem besseren Fotografen.
Der gute Rat?
Vielleicht ist sogar das Gegenteil wahr: Ich werde ein besserer Fotograf, indem ich ein eher unscheinbares Motiv optimal in Szene setze. Ich suche mir eins in der Nähe, besuche es zu verschiedenen Tages- oder Jahreszeiten und experimentiere mit verschiedenen Kompositionen. Ich beurteile für mich die dabei entstehenden Variationen, wähle meine Favoriten und mache mir aktiv bewusst, warum einige Versionen funktionieren und andere nicht. Durch die stetige Praxis werde ich routinierter im Umgang mit meinem Equipment, kann gegebene Lichtsituationen besser bewerten und schule mein kompositorisches Verständnis.
Wenn ich dann irgendwann eine tolle Location besuche, werde ich dieses Motiv durch meine gewonnene Erfahrung - auch unter suboptimalen Bedingungen - bestmöglich ablichten können. Sollte ich darüber hinaus noch Glück mit dem Licht haben, gelingt mir irgendwann nicht nur ein gutes, sondern eventuell sogar ein herausragendes Bild.