Meines Erachtens gibt es in der Fotografie 3 Kernaspekte, die eine gute Aufnahme ausmachen. Neben der Motivwahl und der Qualität des Lichts trägt auch die Bildgestaltung wesentlich zu einem gelungenen Gesamteindruck bei. In den sukzessive erscheinenden Teilen zum Thema Komposition möchte ich dich mit meinen Gedanken zu diesem Thema vertraut machen, ohne dabei näher auf hinlänglich bekannte und überstrapazierte Punkte wie die Drittel-Regel einzugehen. Anhand eines konkreten Motivs erläutere ich im ersten Teil exemplarisch, wie ich mich schrittweise an den optimalen Aufnahmestandpunkt herantaste.
Der Auslöser
Zunächst möchte ich vorwegschicken, dass ich mich zwar seit einigen Jahren redlich um den Aspekt der Komposition bemühe, aber immer noch das Gefühl habe, dass dieser Teilbereich der Fotografie für mich zu den am schwersten zu meisternden Themen gehört. Die folgenden Einlassungen erheben von daher keinen Anspruch auf sachliche Richtigkeit, sondern bieten lediglich einen Einblick in meine persönliche Herangehensweise.
Dieses Bild der Burg Vischering in Lüdinghausen entstand im Frühsommer 2020 im Rahmen einer Verabredung mit meinem Münsteraner Foto-Freund Rainer Albrecht.
Im Laufe der langsam hereinbrechenden Nacht mussten wir zu unserem Leidwesen feststellen, dass die Beleuchtung für den großen Fassadenanteil links defekt war - dieser Part blieb im Gegensatz zur restlichen Burg dunkel.
Die hier gezeigte Perspektive hatte ich eigentlich sorgfältig gewählt: Der beleuchtete Turm und der Innenhof sind gut repräsentiert, die hässliche Notfallbrücke beim Boot rechts ist kaum zu erkennen und ließe sich zudem bei Bedarf auch leicht herausretuschieren. Darüberhinaus hat man bei diesem abendlichen Blick in Richtung Westen die Chance auf ein schönes Farbenspiel im Himmel, auch wenn die Sonne in den Sommermonaten rechts außerhalb des Bildes untergeht.
Leider hat mir aber - wie so oft - ein unvorhergesehenes Ereignis, dieses Mal in Gestalt einer ausgefallenen Leuchte, einen Strich durch die Rechnung gemacht: Ohne angestrahlte Fassade ist mir der dunkle Burganteil einfach zu dominant. Dieser Fehlversuch war im Endeffekt aber nicht nur Auslöser für mehrere Fotoabende an der Burg, sondern auch Ideengeber für den Start dieser kleinen Kompositionsreihe.
In meinem Blogbeitrag Fotozitate 1 habe ich unter anderem dazu geraten, ein beliebiges Fotomotiv in der Nähe wiederholt zu besuchen. Durch das Experimentieren mit verschiedenen Perspektiven zu unterschiedlichen Tages-und Jahreszeiten lernt man die Location besser kennen, schult das fotografisches Auge und wird im günstigsten Fall mit einem Bild belohnt, das das gewählte Motiv optimal zur Geltung bringt.
Da für mich aufgrund der Corona-Situation 2020 größere Reisen ohnehin ausfielen, beschloss ich meinen eigenen Rat anhand der Burg Vischering in die Tat umzusetzen - zumal es im Frühsommer so spät dunkel wurde, dass sich nach dem Ende meines Spätdienstes um 21 Uhr mehrere Gelegenheiten boten, regelmäßig und rechtzeitig zum Sonnenuntergang vor Ort zu sein.
Im Folgenden zeige ich dir, welche Überlegungen mich schrittweise an den meines Erachtens optimalen Aufnahmestandpunkt und letztendlich zu dem Bild “Time flies by” geführt haben.
Die Standort-Variationen
Standort A:
Um das visuelle “Gewicht” des dunklen Fassadenteils zu reduzieren, ist eine weniger frontale Ansicht nötig. Eine Verschiebung des Aufnahmestandpunktes zur linken Seite wäre zwar in Bezug auf die Sonnenuntergangsrichtung vorteilhaft, andererseits würde aber auch in zunehmenden Maße der Blick in den Innenhof und auf den Turm blockiert, so dass ich mich stattdessen für eine Rechtsverschiebung entschied.
A1:
Durch die Standortveränderung rückt zwar das unansehnliche und inzwischen teilweise zerstörte “Landschaftsfenster” (Kosten € 30.000) ins Bild, welches aber in der Nachbearbeitung problemlos zu entfernen wäre.
A2:
Auf der rechten Seite wird dafür der Blick auf die zur Burg führende Brücke und das dahinter liegende Tor freigegeben, wobei beide Elemente schön beleuchtet werden. Auch hier sollte die Retusche des unansehnlichen Notausgangs-Hinweises am Tor leicht zu bewerkstelligen sein. Insgesamt gefällt mir die Inkludierung dieses Burgbereiches gut.
A3:
Weniger gut gefällt mir hingegen, dass der Giebel des Vorhauses optisch nicht mehr von dem der Burg getrennt ist. Dadurch geht ein wenig von der Plastizität der Burgdarstellung verloren.
Standort B:
Um den erwähnten Giebel von der dahinterliegende Fassade optisch zu trennen, habe ich den Aufnahmestandpunkt so weit wie möglich nach links verschoben - ohne dass dabei der Blick auf die beleuchtete Brücke und das Tor wieder durch die Burg verdeckt wird.
B1:
Burgerker und Tor sind nur noch hauchdünn getrennt, so dass ein noch weiteres Verschieben der Aufnahmeposition nicht mehr möglich ist - vorausgesetzt, man möchte den Brücken/Tor-Bereich im Bild behalten.
B2:
An der Giebelsituation hat sich durch den Standortwechsel leider nicht viel getan. Zwar ragt die Spitze jetzt leicht in den Himmel hinein, dafür verlaufen aber die Dachschrägen beider Giebel nahezu deckungsgleich - also keine wirkliche Verbesserung …
B3:
Ein weiterer Aspekt, der mich an Standort A und B stört, ist der ziemlich grelle Strahler am Schornstein rechts des Burgturmes, dessen Schein direkt auf mein Objektiv trifft. Auf diesen nur rudimentär bearbeiteten Bildern erkennt man die leichter Flarebildung und den damit einhergehenden Kontrastverlust kaum. Vorhanden sind diese Artefakte dennoch - und würden bei einem intensiveren Postprocessing auch deutlicher hervortreten.
Standort C:
Aufgrund der noch immer nicht zufriedenstellenden Giebelverteilung habe ich mich entschieden, einen noch weiter links gelegenen Standpunkt zu wählen.
C1:
Durch diesen leichten Perspektivenwechsel verschwindet der mich störende, und flare-provozierende Strahler am Schornstein hinter dem Burgturm.
C2:
Die Giebel von Vorbau und Burg sind jetzt optisch klar voneinander getrennt und ermöglichen einen wesentlich plastischeren Eindruck von diesem Teil der Anlage.
C3:
Das Verstecken des Strahlers hinter dem Turm und die optische Trennung der Giebel durch den sich weiter links befindlichen Standort erforderten allerdings den Verzicht auf den Brücken- und Torteil, der mir eigentlich ganz gut gefiel. Ein Kompromiss, den ich gerne eingegangen bin - 2 Positivaspekte im Tausch gegen einen Negativaspekt. Letztendlich ist die Gewichtung der miteinander konkurrierenden Problemlösungen eine subjektive Entscheidung. Ich kann mir gut vorstellen, dass einige Fotografen eher die Giebelüberlappung und den Strahler in Kauf genommen hätten, um dafür den beleuchteten Brückenbereich im Bild behalten zu können.
Nach der Aufnahme an Standort C hatte ich das Gefühl, dass ich die mir optimal erscheinende Aufnahmeposition für ein abendliches Bild der Burg Vischering gefunden hatte. Leider hatte sich an diesem Tag der Himmel zur beginnenden blauen Stunde komplett aufgeklart. Fotografisch eine eher langweilige Wettersituation - für mein Bild musste ich noch ein weiteres Mal bei besseren Bedingungen wiederkommen.
Das Ergebnis
Da ich mir den mir optimal erscheinenden Aufnahmestandpunkt bereits wie ausgeführt schrittweise erarbeitet hatte, musste ich nur noch auf das richtige Wetter warten. Am Entstehungsabend des Bildes “Time flies by” hatte ich gleich in mehrfacher Hinsicht Glück:
Die ohnehin schon geringe Bewölkung löste sich zum Sonnenuntergang ausnahmsweise nicht komplett auf.
Der Wind war einerseits stark genug, den hübsch gefärbten Wolkenfetzen während der 30-sekündigen Aufnahme den gewünschten Langzeitbelichtunglook zu verpassen, andererseits aber in Bodennähe so schwach, dass das Wasser im fertigen Bild sehr ruhig erscheint. Prinzipiell könnte man diesen Wasserlook auch bei stärkerem Wind erreichen, dafür müsste jedoch die Belichtungszeit durch den Einsatz eines ND-Filters nochmals deutlich gestreckt werden. Für das hier verwendete Ultraweitwinkelobjektiv (14-24mm) besitze ich aber leider noch keinen entsprechenden Filter.
Selbst die Windrichtung spielte mir in die Karten: Leicht aus Süd-Osten wehend trieb er die Wolken in Richtung der gerade untergegangenen Sonne und sorgte außerdem dafür, dass sich Algen, Blätter und Grünspan im Laufe des Tages am gegenüberliegenden Gräftenufer gesammelt hatten. Somit bot das Wasser eine störungsfreie, und fast perfekte Reflexionsfläche.
Bin ich mit dem Bild zufrieden? Grundsätzlich schon, obwohl ich immer noch Verbesserungspotential sehe: Ich werde die mühsam erarbeitete Komposition nochmal im Spätherbst/Winter verwenden, da dann die Sonne nicht rechts außerhalb des Bildes, sondern direkt hinter der Burg untergeht. Dadurch verschiebt sich der hellste Himmelsbereich in das Bildzentrum und führt so nicht mehr dazu, dass das Auge des Betrachters zum rechten Bildrand, und damit fort vom Hauptmotiv gelenkt wird. Weiterhin würde ich mich über beleuchtete Fenster und eine wieder intakte Fassadenbeleuchtung freuen.
Helle Bereiche, hohe Schärfe, starke Kontraste und warme Farben ziehen Aufmerksamkeit auf sich.
Auf der Suche nach dem “perfekten” Foto der Burg Vischering bin ich meinem Ziel ein ganzes Stück nähergekommen und habe die Location durch die wiederholten Besuche inzwischen viel besser verstanden. Ich weiß nun sowohl welche Wind- und Wetterbedingungen dem Motiv zuträglich sind, als auch zu welcher Jahreszeit ich einen erneuten Anlauf mit dem gefundenen Kamerastandpunkt starten sollte.
Manch einer mag berechtigterweise argumentieren, dass die hier besprochenen Kleinigkeiten (Brücke ja oder nein, Giebelproblematik, Strahler am Schornstein, etc.) dem Durchschnittsbetrachter überhaupt nicht auffallen, und die Beachtung dieser Feinheiten somit im Endeffekt einen übertriebenen Aufwand darstellt - was ebenso für Mikrokorrekturen in Bezug auf Farb- und Kontrastabstimmung, sowie die Retusche kleinster störender Elemente gilt. Nichtsdestotrotz bin ich davon überzeugt, dass die Optimierung solcher Details in Summe zu einem positiveren Gesamteindruck eines Bildes führt.
Ich hoffe, dass dich dieser erste Teil meiner Kompositionsreihe dazu inspiriert hat, deinen Aufnahmestandpunkt zukünftig mit größerer Sorgfalt als vielleicht bisher zu wählen. Manchmal haben sogar Verschiebungen um nur wenige Zentimeter einen erheblichen Einfluss auf das Gelingen einer Komposition - insbesondere bei dem Thema, dem ich mich im nächsten Teil widmen werde: Das “Rahmen” des Hauptmotivs durch Vordergrundelemente.
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