Im Herbst 2019 fotografierte ich die Schleierfälle in Bayern, doch trotz aller Bemühungen wollte mir das Bild “Veil of Water” partout nicht zusagen - bis ich als letzte Option eine Schwarz-Weiß-Konvertierung ausprobierte. Das Resultat gefiel mir deutlich besser, erhielt ungewöhnlich viel positives Feedback und wurde eines meiner erfolgreichsten Aufnahmen. In diesem Blogbeitrag versuche ich der Frage auf den Grund zu gehen, zu welchen Gelegenheiten der Verzicht auf Farbinformationen zu einem besseren Bild führen kann.
Nach der Erfindung der Fotografie in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts entstand schnell das Bedürfnis, mit den neuartigen “Lichtbildern” nicht nur Hell-Dunkel-Kontraste dauerhaft fixierbar zu machen, sondern auch Farben aufzeichnen zu können. Obwohl erste Pioniererfolge auf diesem Gebiet schon in den 1850er Jahren erzielt wurden, sollte es noch 120 Jahre dauern, bis der Farbfilm im Privatbereich seinen endgültigen Siegeszug in den 1970er Jahren antrat.
Weitere 50 Jahre später fotografieren wir ganz überwiegend mit Digitalkameras und Smartphones. Schwarz-Weiß-Bilder entstehen nicht mehr aufgrund technischer Limitationen, sondern sind immer intentionaler Ausdruck des Fotografen, der sich bewusst für eine Graustufendarstellung entscheidet. Aber warum beschränkt man sich freiwillig in den kreativen Ausdrucksmöglichkeiten?
Wohnt der Schwarz-Weiß-Fotografie vielleicht ein besonderer Reiz inne, weil sie - ähnlich wie Langzeitbelichtungen - eine verfremdete Version der Realität zeigt und somit per se einen künstlerischen Anspruch erhebt?
Es steht jedenfalls fest, dass solche Bilder eine große Fangemeinde haben und sich viel Zuspruchs erfreuen. Im Zusammenhang mit der Erstellung dieses Blogbeitrags habe ich mir mal die Mühe gemacht, meine eigene Farbe/Schwarz-Weiß Bilanz aufzumachen: Circa 15% meiner bisher auf Flickr veröffentlichten Fotos sind Schwarz-Weiß, machen aber über 20% der Bilder aus, die es dort in die “Explorer-Kategorie” geschafft haben - dort werden die 500 interessantesten Bilder der bis zu 4 Millionen täglichen Foto-Uploads gesondert präsentiert. Für mich ein weiterer Beleg für die Attraktivität dieses Genres, gerade weil ich diese Bilder rein objektiv nicht zu meinen gelungensten Werken zählen darf.
Obwohl ich ganz überwiegend farbige Aufnahmen erstelle und mich somit eher als Laie auf dem Gebiet der Schwarz-Weiß-Fotografie verstehe, habe ich im Folgenden zusammengetragen, in welchen Situationen ich Grau in Grau bevorzuge. Vielleicht sind meine Gedanken dazu ja für den einen oder anderen Anfänger bei der manchmal schwierigen Entscheidungsfindung “Schwarz-Weiß oder Farbe?” hilfreich …
Schwarz-Weiß - wenn eine motivbedingte Stimmung verstärkt werden soll
Intuitiv verbinde ich Schwarz-Weiß-Darstellungen mit historischen Aufnahmen. Diese Assoziation ist so tief verankert, dass ich als Kind sogar ernsthaft geglaubt habe, dass die ganze Welt früher Grau in Grau gewesen sei. Bei Aufnahmen von Szenen, in denen keine modernen Elemente vorkommen, mache ich mir diesen Effekt manchmal zunutze, um die motivbedingte Stimmung durch den Bildlook weiter zu verstärken.
Das hier zu sehende Bild “The Tombstone”, welches ich 2016 in Greetsiel aufgenommen habe, funktioniert meines Erachtens auch in der Farbversion, dennoch gefällt mir die Schwarz-Weiß-Variante deutlich besser: Sie unterstreicht nicht nur den morbiden Charme des Motivs und erinnert entfernt an den Look der alten Hitchcock-Thriller, sondern führt darüberhinaus auch zu einer Stärkung des Grabsteins als Hauptmotiv. Farbigkeit und Sättigung wirken im Allgemeinen wie Magneten auf das Auge des Betrachters, infolgedessen der Hintergrund der Farbversion ungebührend viel Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Schwarz-Weiß - wenn Farben ablenkend wirken
Kommen in einem Foto in irrelevanten Bildbereichen starke Signalfarben (wie z.B. Rot) vor, besteht natürlich immer die Möglichkeit, diese bei der Nachbearbeitung in Sättigung und Helligkeit anzupassen oder komplett umzufärben.
Bei dem hier vorliegenden Bild “Good old barn and bike” aus dem Jahr 2015 habe ich zunächst diesen Ansatz verfolgt, um weniger Aufmerksamkeit auf den Sattel und die Rücklichter des Fahrrads meiner Frau zu lenken. Dabei stellte ich aber fest, dass auch das Grün der Wiese eher stört als der Bildaussage zuträglich zu sein, so dass ich mich im Endeffekt für eine Graustufenumwandlung mit leichter Sepia-Tonung entschied.
Schwarz-Weiß - wenn ohnehin kaum Farbe vorhanden ist
Als ich im Dezember 2017 mit dem Auto die umliegenden Bauernschaften erkundete, überraschte mich der erste Schneefall des Jahres. Aus der kuscheligen Wärme des Wagens heraus fotografierte ich die hier zu sehende Szene, die aufgrund des trüb-nebligen Tages ziemlich trostlos erscheint.
Anstatt dieser Tristesse auf Teufel komm raus entgegenzuarbeiten und die ohnehin kaum vorhandenen Farben zu verstärken, entschied ich mich für den umgekehrten Weg und entsättigte das Bild zunächst komplett. Auch hier arbeitete ich anschließend mit einer Tonung - mehr dazu erfährst du später in diesem Artikel.
Schwarz-Weiß - für den Fine Art Architekturlook
Wie weiter oben bereits erwähnt, bin ich wahrlich kein Experte auf dem Gebiet der Schwarz-Weiß-Fotografie, anhand des Bildes “Back in Black” wird aber hoffentlich klar, was ich mit “Fine Art Architekturlook” meine: Vielleicht wäre ”Moderne Architektur mit surreal glänzenden Fassaden vor tiefschwarzem Himmel“ eine ebenso gültige Umschreibung …
Im Prinzip ist die entsprechende Bearbeitung recht einfach: Nach einer vorbereitenden Schwarz-Weiß-Konvertierung selektiert man den Himmel, dunkelt diesen stark ab und erhöht den Kontrast. Anschließend werden einzelne Fassadenelemente ausgewählt, um sie mit verschiedenen Hell-Dunkel-Verläufen im Modus Ineinanderkopieren bei reduzierter Deckkraft zu überlagern.
Wenn du zu dieser Bearbeitung weitergehende Informationen brauchst, würde ich dir das entsprechende Tutorial von Matthias Haltenhof ans Herz legen - durch seinen Videokurs konnte ich diese Technik schnell in mein Repertoire aufnehmen.
Schwarz-Weiß - weitere Anwendungsfälle und allgemeine Tipps
Extreme Aufhellung:
Falls du eines deiner Bilder aus Versehen stark unterbelichtet hast, lässt es sich in der Nachbearbeitung in einem erstaunlichen Maße aufhellen. Das führt bei extremen Werten schnell zu einer verminderten Qualität durch deutlich sichtbares Rauschen und Tonwertabrissen. Diese Mängel fallen in einem Schwarz-Weiß-Bild deutlich weniger auf.
Extreme Kontrastverstärkung:
Ähnliches gilt für starke Anhebungen des Kontrastes in einem Bild, durch die es schnell zu manchmal schwer behebenden Farb- und Sättigungsverschiebungen kommen kann. Auch hier bietet die Schwarz-Weiß-Konvertierung eine Quick & Dirty Methode, falls man dem Aufwand einer aufwändigeren Korrektur entgehen möchte.
Ungünstiges Mischlicht:
Bei Aufnahmen, in denen unterschiedliche Lichtquellen mit verschiedenen Farbspektren und -temperaturen vorkommen, ist es schwierig bis unmöglich einen zufriedenstellenden Weißabgleich festzulegen, ohne dabei zu große Kompromisse bei der Farbdarstellung eingehen zu müssen. In Schwarz-Weiß hingegen geht es nur um die Tonalität …
Direkt in Schwarz-Weiß fotografieren?
Wenn du im RAW-Format fotografierst, kannst du bedenkenlos den Schwarz-Weiß Modus deiner Kamera nutzen, um bereits vor der Auslösung abzuschätzen, wie eine gegebene Szene als Graustufenbild wirken würde. Keine Angst: Obwohl auf dem Kameradisplay keinerlei Farbinformationen zu sehen sind, werden diese dennoch in der abgesicherten RAW-Datei hinterlegt.
Anders sieht es aus, wenn du ausschließlich JPEG-Datein nutzt: Fotografierst du so im Schwarz-Weiß-Modus deiner Kamera, sind die Farbinformationen unwiederbringlich verloren, und du hast später keine Möglichkeit, die Tonalität (Helligkeit) der einzelnen Farben nach deinem Geschmack zu gestalten, was auch Anfängern besonders gut und intuitiv im S/W-Reiter von Lightroom gelingt.
Den S/W-Reiter in Lightroom nutzen:
Vom simplen Entsättigen, über eine Verlaufsumsetzung bis zu speziellen PlugIns wie SilverFX stehen dir fast grenzenlose Möglichkeiten offen, um dein Farbfoto in ein Graustufenbild umzuwandeln. Ich selbst nutze gerne und bevorzugt den S/W-Reiter in Lightroom:
Wenn du im Entwickeln-Modul von Lightroom im Reiter Grundeinstellungen ganz oben von Farbe auf Schwarzweiß wechselst, ändert sich der dritte Reiter von HSL/Farbe in S/W. Dort kannst du dann die Tonalität von insgesamt 8 Farbbereichen (Rot, Orange, Gelb, Grün, Aquamarin, Blau, Lila und Magenta) im Bereich -100 bis +100 ganz nach deinem Geschmack anpassen. So können resultierende Schwarz-Weiß-Alternativen ein und desselben Farbfotos völlig unterschiedlich ausfallen und wirken.
Das Graustufenbild tonen
Streng genommen sind die 4 Bildbeispiele oben gar keine Schwarz-Weiß-Bilder, da ich allen in Lightroom eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Tonung habe angedeihen lassen.
Bei diesem Prozess färbt man die Lichter und Tiefen eines Bildes subtil mit 2 unterschiedlichen und frei wählbaren Farben. Im Reiter Teiltonung kannst du neben der eigentlichen Farbe auch deren Sättigung bestimmen - sowohl für die helleren, als auch für die dunkleren Bereiche. Über den Regler Abgleich regelst du, welche Tonalitätsbereiche Lightroom als hell, bzw. dunkel interpretiert.Ich nutze für die Lichter meist wärmere Farben (Farbton 0-55), und für die Tiefen kühlere (Farbton 75-265), letztendlich gibt es hier aber kein Falsch oder Richtig …
Schwarz-Weiß - hier lieber nicht
Grundsätzlich kann und “darf” man natürlich jedem Bild eine Schwarz-Weiß-Konvertierung angedeihen lassen, nichtsdestotrotz möchte ich aber anhand des nachfolgenden Beispiels zeigen, dass eine Graustufenumsetzung nicht immer von Vorteil ist. Mein Bild “A provencal cliché” zeigt ein schönes Lavendelfeld in Valensole zum Sonnenaufgang. Die Komposition und der Bildaufbau sind stimmig, auch die Tonalität ist völlig in Ordnung: Es gibt weder ausgebrannte Highlights, noch abgesoffene Tiefen. Vor allem lebt diese Aufnahme aber von den intensiven und harmonischen Farben, die nach einer Schwarz-Weiß-Konvertierung naturgemäß nicht mehr zum Tragen kämen - eine Schande!
Solltest du also ein Bild haben, dessen Thema zu einem Großteil von der Farbigkeit getragen wird, würde ich zum Verzicht auf eine Schwarz-Weiß-Konvertierung raten.
Schwarz-Weiß - ein paar abschließende Worte
Die Schwarz-Weiß-Fotografie ist eine bewusst eingegangene Limitation, eine künstlerische Verfremdung der objektiv zu beobachtenden Realität. Sie simplifiziert den Bildinhalt, da Farben schlichtweg keine Rolle mehr spielen. Die Aufmerksamkeit des Betrachters wird somit stärker auf kompositorische und bildgestaltende Elemente und Formen gelenkt. Darüberhinaus kann sie Qualitätsverluste, die aufgrund extremer Kontrast- oder Helligkeitserhöhungen entstehen, kaschieren und bietet durch die vielfältigen Eingriffsmöglichkeiten auf dem Weg zu einem Graustufenbild eine große, kreative Spielwiese. Weitere Bildbeispiele aus diesem Genre findest du übrigens in meiner Schwarz-Weiß-Galerie.
Falls dich dieser Artikel weitergebracht, oder einfach nur gefallen hat, würde ich mich sehr über Feedback freuen - selbiges gilt natürlich auch für Verbesserungsvorschläge und Kritik. Sofern du mich durch das Abonnieren meiner korrespondierenden Bilderschmied-Seite auf Facebook unterstützen magst, kann ich dich im Gegenzug dort schnell und unkompliziert über hier neu erscheinende Beiträge informieren.
Du hast kein Facebook?
Kein Problem!
Auf der Startseite findest du ein kleines Formular zur Registrierung für meinen E-Mail Service. Einfach Mailadresse und Vornamen eingeben, und du bekommst nicht nur alle paar Monate eine Nachricht über meine fotografischen Untriebe, sondern erhält auch 50% Rabatt beim Eröffnungsverkauf meines Print-Shops!
Herzlichen Dank für deinen Support!